Ein leeres Blatt Papier
Josef Goertz | 21.03.2018 0 0
©Josef Goertz – Schwerin - 2018
Ein leeres Blatt Papier … !
Regungslos saß ich an meinem Schreibtisch und starrte schon seit einer Ewigkeit auf das leere Blatt Papier vor mir. Draußen stürmisch und eiskalt, doch nichts vermochte mich dieser Zeitlosigkeit zu entreißen. Der so oft verstaute und wieder geöffnete Schuhkarton stand noch neben mir am Boden, und ich konnte mit geschlossenen Augen aufzählen, was er enthielt. Einen kleinen Schutzengel, eine dünne Lederkette, ein Foto, einen Liebesbrief. Eine Kerze. Ein Freundschaftsring. Und eben dieses leere Blatt Papier.
Es war mittlerweile zu einer Art Ritual geworden. Jeden Tag holte ich den schlichten Karton aus meinem Schreibtisch hervor. Jeden Tag verzweifelte ich vor dem leeren Blatt. Ich weiß nicht, wie lange das schon so ging. Um ehrlich zu sein, wusste ich es schon, sogar auf den Tag genau. Ich wollte mir lieber weiter einreden, dass ich es nicht wusste, dass ich es vergessen hatte.
Ein lautes Klingeln riss mich aus meinen Gedanken und ließ mich herumfahren. Mir schien es Wochen her, dass das letzte Mal jemand an meiner Tür klingelte. Ich öffnete und erblickte meinen besten Freund, dessen Gesichtszüge ich besser kannte als die eigenen. Er lächelte und schloss mich in die Arme. „Es macht nichts, dass du dich seit Wochen nicht mehr gemeldet hast. Ich bin nicht sauer. Aber so kann es nicht weitergehen. Du musst wieder anfangen zu leben.“
Wieder saß ich regungslos vor dem leeren Blatt. Mir war schwindelig, und ich wollte am liebsten wegrennen, einfach fort von hier. Ich spürte seine Hand, wie sie mir sanft den Rücken streichelte. „Ich werde mich hier aufs Sofa setzen und einfach da sein. Ich bin für dich da.“ Eine einsame Träne lief meine Wange hinab und tropfte lautlos auf das weißte Blatt. Ich hob den Stift und setze ihn zitternd an. „Liebste Annett“, begann ich, „dein Lächeln. Jede Nacht habe ich dein Lächeln vor Augen.“
Ich schrieb und schrieb, schrieb unter Tränen und wie im Wahn, alles, was ich ihr nicht mehr sagen konnte. Wie sehr ich sie vermisste, was ich an ihr liebte, die kleinen Momente, in denen sie mich glücklich machte. Auch wie sehr ich oft enttäuscht und traurig war. Ich schrieb, bis ich keine Kraft mehr hatte, bis mir die Tränen die Sicht nahmen und ich Arme fühlte, die sich um meinen Körper legten.
Gemeinsam legten wir den fertigen Brief zurück in den Schuhkarton und Karl-Heinz fuhr mich nach W …........ und ich vergrub die Schachtel an „unserem“ gemeinsamen Liebesnest. Und mit ihm all die Trauer um meine tote Geliebte, Frau, an „meine“ Annett, die mir zeitweise die Kraft nahm zu leben.
Von da an war mein Leben wieder viel leichter.
E N D E
©Josef Goertz – Schwerin - 2018
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